Monday 13 May 2019

"en España da igual quien gobierne, sólo saben reprimir" Wer wütet hier? Spanien Vor Gericht entpuppt sich die Geschichte von der gewalttätigen Rebellion in Katalonien als Mär.




Die Polizei geht nach wie vor rigoros gegen Unabhängigkeitsbefürworter vor Foto: Pau Barrena/AFP/Getty Images

Wer wütet hier?
Spanien Vor Gericht entpuppt sich die Geschichte von der gewalttätigen Rebellion in Katalonien als Mär. 
Das Gegenteil war der Fall: Die Gewalt ging von der Polizei aus.
Eckart Leiser 

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Die Anklage bot im April vor dem Obersten Gerichtshof in Madrid ein 
ganzes Bataillon von Zeugen der Nationalpolizei und der Guardia Civil auf (insgesamt 186), um endlich mit ihren Aussagen die gewalttätigen Ausschreitungen anlässlich des Referendums zur Unabhängigkeit Kataloniens zu belegen. Darunter waren 12 Polizisten, die von ihren erlittenen Verletzungen berichteten.


Was der Fernsehzuschauer zu sehen bekommt, ist gespenstisch: Die Kameras dürfen kein Bild der Zeugen zeigen, nur ihre Stimme aus dem „Off“. Sie haben auch keine Namen sondern nur Nummern. So ruft etwa der Gerichtspräsident Marchena die Nummer 091126 der Nationalpolizei in den Zeugenstand, die dann vom Schlag ins Auge eines Kollegen berichtet. Auf Nachfrage räumt der Zeuge dann ein, er selbst habe das nicht gesehen, wohl aber die Angaben der Ambulanz gelesen. Ein anderer ist die Nummer K47019K der Guardia Civil, ein Zeuge, zu dem der Verteidigung keinerlei Informationen vorliegen. Auf deren Protest hin rechtfertigt Marchena die Vernehmung mit Ausführungen eines Juristen aus dem Jahr 1882.

Die zahlreichen Zeugenaussagen der Polizisten zu blutigen Angriffen katalanischer Bürger gegen die Polizei stehen im Widerspruch zu den offiziellen Zahlen der katalanischen Gesundheitsbehörde. Danach gab es 12 verletzte Polizisten und 1066 verletzte Anhänger der Referendums. Jody Williams, Trägerin des Friedensnobelpreises, erlebte die Zeugenaussagen der Polizisten als Zuschauerin im Gerichtssaal und stellt fest, der Prozess sei eine Farce und die Polizisten „Marionetten“ der Anklage. Zitat: „Ihr müsst ins Gericht gehen und dort den Zeugen der Guardia Civil zuhören. Jeder von ihnen hat seine Anekdote. Einen haben sie auf den Finger geschlagen, ein anderer hat einen Fingernagel verloren.“ Im weiteren berichtet sie, dass Marchena anfangs einige Videos der Verteidigung zuließ, die die Aussagen der Polizisten widerlegten. Diese Videos wurden dann aber bald untersagt. Jody Williams schließt mit den Worten: „Es ist schmachvoll, die Guardia Civil ein ums andere Mal die gleichen Geschichten erzählen zu hören.“ Sie sieht darin eine weltweite Gefahr durch Regierungen, die keine abweichenden Meinungen tolerieren. Natürlich sei die Verteidigung der Einheit Spaniens legitim, aber nicht auf Kosten der Menschenrechte anderer.
Die Aussagen der Polizisten werden auf den Kopf gestellt

Gegen die Zeugenaussagen der Polizei kann die Verteidigung erstaunlicherweise einen pensionierten Polizisten der Nationalpolizei ins Feld führen, der am Referendum teilnahm. Zu einem der „schlimmsten“ Gewalttaten der Unabhängigkeitsbefürworter, zu der ein verletzter Polizeibeamter ausgesagt hatte, nämlich der Wurf eines Stuhls, berichtet er, der Polizist wäre in einem Scherbenhaufen aus Glasscherben ausgeglitten, die er selbst zuvor zertrümmert hatte, und wurde dann auf dem Boden zwischen den Scherben vom Stuhl getroffen. Das ist angesichts der Aussagen von Zeugen der Verteidigung durchaus plausibel – Aussagen, die durchweg die Versionen der Polizisten auf den Kopf stellen. Dazu einige Beispiele aus der Sitzung des Gerichts am 30. April:

Santiago Valls aus Sabadell berichtet, dass kurz nach Öffnung seines Wahllokals die Polizei in zwei großen Trupps aufmarschierte. Ohne jede offizielle Ankündigung oder Vorwarnung stürzte sie sich sofort auf die Anwesenden und traktierte diese mit Schlagstöcken und Fußtritten. Einen korpulenten Herrn schleifte sie an der Haaren über den Boden. Die Leute blieben friedlich, sangen Freiheitslieder und riefen: „Wir werden wählen“, was sie nach dem Abzug der Polizei auch taten.

Pilar Calderón, ebenfalls aus Sabadell, hielt sich als offizielle Wahlbeobachterin einer katalanischen Partei in dem als Wahllokal dienenden Schulkomplex auf. Auch hier schlug die Polizei ohne Vorwarnung zu, zertrümmerte außen und im Inneren Türen und Glasscheiben. Sie sah, wie auf eine auf einem Stuhl sitzende alte Dame eingeschlagen wurde. Die Leute ließen die Gewalt, auf dem Boden sitzend, weinend und mit erhobenen Händen über sich ergehen. Es dauerte über eine Stunde, bis die Polizei sich schließlich mit in Mülltüten gefülltem Schulmaterial und Kinderspielzeug zurückzog. Danach wurde weiter gewählt.
Wie Gepäckstücke durch die Straßen geschleift

Julián Fernández Olivares, stellvertretender Bürgermeister in Sabadell, berichtet, wie er mit Schlagstöcken verprügelt wurde. Er erlitt einen Hieb auf die Wange, Fußtritte in den Rücken und verließ den Schauplatz mit zerbrochener Brille und zerrissenem Jackett. Er erzählt, wie die Leute „wie Gepäckstücke“ über die Straße geschleift wurden.

Joan Pau Salvadó aus Sant Carles de la Rápita, ein Mann in den Fünfzigern, sah, wie ein beleibter Mann eine Frau gegen die Schläge der Guardia Civil abzuschirmen versuchte und dabei selbst brutal verprügelt wurde. Etwa 120 Polizisten prügelten auf ca. 300 Bürger ein, die vor dem städtischen Pavillon Schlange standen, um zu wählen. Die festliche Stimmung schlug schlagartig in Angst um. Die Leute, die nicht flüchteten, ertrugen den Gewaltausbruch auf dem Boden sitzend, mit erhobenen Händen und weinend. Er selbst gelangte blutend zu einem Ambulanzfahrzeug, vor dem viele blutende Menschen warteten.

Zum Schluss noch Emili Gayá aus Sant Esteve Sesrovira, ein grauhaariger kultivierter Herr fortgeschrittenen Alters, der sich mit seiner Frau zum Abstimmen eingefunden hatten. Er erzählt, dass er nicht einmal unter Franco einen derartigen Polizeieinsatz erlebt habe: Ein ganzes Bataillon marschierte in militärischer Formation auf und schlug ohne jede Vorwarnung zu. Er selbst erhielt einen Schlag auf den Kopf, fiel hin, und die Nachbarn, die ihm aufhelfen wollten, wurden ebenfalls geschlagen. Wie er betont, hatte ihn niemand zur Abstimmung gedrängt. Es war seine persönliche Entscheidung, für das „unveräußerliche“ Recht, seine Meinung kundzutun.


In spanischen Medien macht sich Ratlosigkeit breit

Alle 17 Zeugen dieses Tages betonen die Gewaltlosigkeit der Bürger, die sich – schon verprügelt – in dem gemeinsamen Ruf „Wir sind friedliche Leute“ manifestierte. Viele von ihnen berichteten von der immer gleichen Polizeitaktik: den Schlagstock in der Unterleib der Person bohren, die daraufhin zu Boden ging, wo dann, vor den Kameras verborgen, auf den Kopf geschlagen werden konnte.

Die Anklagevertreter stellen zu den geschilderten Brutalitäten keine einzige Frage. Stattdessen die wie ein Refrain vorgetragene Frage, ob der Zeuge nicht wusste, dass das Referendum illegal war.

Erwähnenswert ist noch die Reaktion der Medien. Nach Tagen des Jubilierens über die Zeugenaussagen der Polizei, die endlich die Anklage wegen gewaltsamer Rebellion belegten, eine gewisse Ratlosigkeit, die sich in Zweifel und Relativierungen flüchtete. Das Dilemma wird in El País immerhin zugegeben. Unter dem Untertitel: „Die Zeugenaussagen der Wähler beim katalanischen Referendum weichen radikal von der Erzählung der Polizisten ab“ werden die Aussagen der Zeugen zu der gleichen Situation gegen die der Polizisten gestellt. So offensichtlich ist der Widerspruch, und das, obwohl der Gerichtspräsident Marchena immer wieder durch eine „autoritäre“ Verhandlungsführung (International Trial Watch) die Möglichkeiten der Verteidigung einschränkt.

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